Urelefanten am Flussufer, ein Tsunami im Rheintal, römische Besatzer und Riesenflöße, die bis nach Holland fahren. „Terra X“ erzählt die bewegte Geschichte des Rheins. Sein Weg führt von den Alpen bis zur Nordsee. Schon im Altertum ist er hart umkämpft. Doch bald wird er mit Städten wie Köln zum Zentrum von Wirtschaft und Zivilisation. Und mit der Nibelungensage zum Ort der Märchen und Mythen. 1914 entdeckte man bei Bonn ein steinzeitliches Grab mit zwei 14 000 Jahre alten Skeletten, den Oberkasseler Menschen. Mit Hilfe dieser Funde konnten Forscher in den vergangenen Jahren das Leben am Rhein während der Eiszeit rekonstruieren. Eine Welt wie im heutigen Skandinavien, in der diese frühen Rheinländer Elche jagten und mit Harpunen Lachse im Fluss erbeuteten. Die Nachfahren der Oberkasseler Menschen erlebten am Ende der Eiszeit die größte Naturkatastrophe, die sich jemals am Rhein ereignet hat. Als am Mittelrhein nur wenige Kilometer vom Fluss entfernt vor knapp 13 000 Jahren ein Vulkan ausbrach, rasten Glutlawinen über das Land und türmten im Rheintal eine Barriere auf, die den Fluss zu einem gewaltigen See aufstaute. Schließlich durchbrach der Rhein den Damm, und eine zerstörerische Flutwelle ergoss sich flussabwärts. In der Antike siedelten Kelten und Germanen am Rhein, bis die Römer kamen. Wie später noch oft in seiner Geschichte, markierte der Fluss eine Grenze, hier Zivilisation und Kultur, dort Wildheit und Barbarei. Aber diese Grenze verschwand bald. Unter den Römern blühte der Handel. Sie bauten Brücken und Legionslager, aus denen sich die ersten Städte entwickelten. Köln wurde zur Metropole. Diese Stellung konnte die Stadt auch später behaupten, weil sie 1259 das Stapelrecht einführte. 600 Jahre lang wurden in Köln alle Rheinschiffe gezwungen, ihre Waren abzuladen und zum Verkauf anzubieten: die Lage am Fluss als einträgliches Geschäftsmodell. Der Rhein wurde zu einem der wichtigsten Verkehrswege Europas. Eine Sensation ware
Vom Magdalenenhochwasser 1342 bis zu Tullas Rheinbegradigung, von Napoleons Besatzungszeit bis zur Loreley. „Terra X“ begibt sich auf eine spannende Zeitreise durch die Geschichte des Rheins. Er fließt durch sechs Länder, doch kein Volk ist ihm so emotional verbunden wie die Deutschen. Für sie ist er „Vater Rhein“. Sie haben ihn gegen ihre Feinde verteidigt, seine Schönheit besungen und ihn mit Bonn zeitweise sogar ins politische Zentrum gerückt. Bis ins 19. Jahrhundert fielen viele Rheinbewohner einer tödlichen Krankheit zum Opfer, die man sonst eher mit den Tropen in Verbindung bringt: der Malaria. Besonders am Oberrhein verwandelten damals Hochwasser die Ufergebiete immer wieder in sumpfige Brackwassergebiete – ideal für Mücken, die Überträger des Fiebers. Vom Hochwasser geht am Rhein immer wieder große Gefahr aus. Doch niemals waren die Ausmaße katastrophaler als im Sommer 1342. Wissenschaftler haben rekonstruiert, dass es damals zu einer „Jahrtausendflut“ gekommen ist, dem vielleicht größten Unwetter in historischer Zeit. Sintflutartige Regenfälle spülen innerhalb von zwei bis drei Tagen Milliarden Tonnen Boden weg, der Rhein und seine Nebenflüsse überfluten das gesamte Mittelrheintal, selbst die massiven Stadtmauern von Köln werden bei einem Pegel von elf Metern überflutet. „Wir gehen davon aus, dass insgesamt 13 Milliarden Tonnen Boden innerhalb von zwei, drei Tagen abgespült worden sind“, schätzt der Geoökologe Hans-Rudolf Bork. „Wenn wir Güterzüge mit Erde füllen würden, wären es drei Güterzüge, die hier von unserer Erde bis zum Mond reichen würden.“ Malaria, Hochwassergefahr und Verbesserungen für die Schifffahrt waren auch die drei ausschlaggebenden Beweggründe für einen badischen Ingenieur, den Rhein aus dem Griff der Natur zu befreien. Johann Gottfried Tulla wollte den wilden Oberrhein bändigen, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch aus über 1600 kleinen Inseln und unzähligen Schlingen und Neb
1914 entdeckte man bei Bonn ein Grab mit zwei etwa 14.000 Jahre alten Skeletten. Diese Funde ermöglichten, das Leben am Rhein während der Eiszeit zu rekonstruieren, als dort erste Siedlungen entstanden. Später gründeten die Römer bedeutende Städte wie Köln oder Koblenz. So entwickelte sich der Rhein seit der Antike zu einem Handelsweg, an dem viele mitverdienen wollten. Die meisten der mittelalterlichen Burgen, für die der Mittelrhein heute weltberühmt ist, dienten daher zunächst als profane Zollstellen. Die entstandene malerische Landschaft idealisierten die Romantiker des 19. Jahrhunderts zur Idylle. Clemens Brentano war es, der die Loreley erfand, die berühmteste Märchenfigur am Rhein, der sich damals in zahllosen Flussschleifen nach Norden wandte. Aller märchenhaften Schönheit zum Trotz erschwerten die pittoresken Mäander das Leben der Bevölkerung: In den sumpfigen Überschwemmungsgebieten des Oberrheins litten die Menschen unter Malaria, immer wieder kam es zu verheerenden Hochwassern. Schließlich wurde der wilde Fluss im 19. Jahrhundert unter Johann Gottfried Tulla begradigt und so um 81 Kilometer verkürzt. Mit Beginn der Industrialisierung erreichte der Schiffsverkehr neue Rekorde. Der einst fischreiche Strom verkam aber auch zur Kloake für Industrieabwässer. Erst Ende des 20. Jahrhunderts setzte ein Umdenken ein – heute gibt es im Rhein sogar wieder Lachse. Von seiner Quelle in den Schweizer Alpen bis zu seiner Mündung in die Nordsee folgt die Dokumentation dem Lauf des Rheins. Wie in einem Kaleidoskop entfaltet sie die Jahrmillionen umfassende Geschichte der heutigen Kulturlandschaft. (Text: arte)