Schon der erste Streckenabschnitt durch den Bundesstaat Illinois wird zur Zeitreise durch eine versunkene Welt. Hier wird deutlich erkennbar, dass der Bau mehrspuriger "Interstate"-Autobahnen in den 60er Jahren der einstigen Hauptstraße Amerikas den Verkehr entzogen und den Betrieben entlang der Strecke ihre Existenzgrundlage genommen hat. Gleich, nachdem die Route 66 die Metropole Chicago verlassen hat, wird deutlich, dass sie nicht mehr die von Osten nach Westen führende Hauptverkehrsader der Vereinigten Staaten ist. Die in den 60er Jahren gebauten vielspurigen "Interstate"-Autobahnen haben den Großteil des Fernverkehrs aufgenommen. Heute gleicht die Route 66 an vielen Orten einem Museum der 30er bis 50er Jahre. Ein Eindruck, der sich mit jeder Meile verstärkt. Wer einst vom Verkehr auf der "66" lebte, hat sein Geschäft längst aufgegeben und ist weitergezogen. Geblieben sind Ruinen von Tankstellen, Motels und Geschäften. Einige wurden mittlerweile liebevoll restauriert als heimelige Erinnerungen an die guten, alten Zeiten und natürlich auch, um damit vom Nostalgie-Tourismus rund um die Route 66 zu profitieren. An Wochenenden öffnet in Litchfield eines der letzten noch in Betrieb befindlichen Autokinos an der "66". Einen Ort weiter bietet ein Händler alte, chromblitzende Straßenkreuzer an - Amerikas "Classic Cars" mit ihren riesigen Heckflossen. Und überall beweisen kleine Familienrestaurants, dass Reisen in Amerika auch ohne Fastfood möglich sind. Die Route 66 ist eine Straße der Kontraste. St. Louis, die Stadt am Mississippi, hat mehr als die Hälfte ihrer Einwohner verloren. Die Ruinen gespenstisch verlassener Fabrikanlagen und entvölkerter Stadtteile säumen die legendäre Landstraße. Mittendrin aber dröhnt nachts der Rhythmus der Rapper in den Hip-Hop-Clubs. Und nur wenige Meilen weiter, in den grünen Hügeln der Ozarks und Missouris, scheint die Zeit stillzustehen. Dort treffen sich Bluegrass-Musiker wie seit Generationen zu einer "Jam" in e
Im mittleren Abschnitt der legendären Route 66, in Oklahoma und Texas, ziehen sich die Reste der alten Landstraße durch kleine, propere Städte. Hier erscheint Amerika so wie es sich selbst am liebsten sieht. Gottesfurcht gehört im "Bibelgürtel" zur Alltagskultur. Selbst Tankstellen dienen der Mission. Die "Oral Roberts University" in Tulsa im Bundesstaat Oklahoma ist die größte charismatisch-christliche Universität der Welt. Den über 3.000 Studenten ist Sex vor der Ehe und Homosexualität verboten und die Evolutionslehre nach Darwin halten sie für Teufelszeug. Die Route 66 führt aber auch durch das Land der Cowboys. So trifft man in Oklahoma City und Amarillo gleich auf zwei der größten Viehmärkte der USA. Auf "Saloon" getrimmte Steakhäuser sind die Attraktion der Gegend. Sie bieten eine besondere Mutprobe, den Verzehr eines zwei Kilo schweren Steaks. Wer es innerhalb einer Stunde schafft, ist Gast des Hauses. An Wochenenden treffen sich traditionsbewusste Texaner zu Kochwettbewerben. Das Besondere dabei ist, das alles genauso aussehen und vonstattengehen muss wie zu den Zeiten der Pioniere. Planwagen, offene Feuerstellen, dampfende Kessel und altertümliche Kostüme sollen die Erinnerung an die Eroberung Amerikas wach halten. Und echte Cowboys singen dazu ihre Lieder vom Leben harter Männer in der Prärie. Die Ruinen der Geisterstädte aus den Anfängen des Automobil-Zeitalters sind bei Reisenden längst zu beliebten Fotomotiven geworden. Besonders gern werden sie von Bikern auf den Spuren des Kultfilms "Easy Rider" besucht. Die Faszination der einsam gewordenen Straße entdeckten vor Jahren auch Hippies auf der Suche nach Orten für ein freies Leben. In der einst verlassenen Goldgräberstadt Madrid im Bundesstaat New Mexico leben sie noch heute, grau geworden und etwas verloren zwischen den Galerien und Boutiquen, die ihnen folgten. Ihren Hippie-Friedhof haben sie zu einem Platz der heiteren Trauer gemacht, zu einem berührenden Ort von Fantasien u
Der westliche Abschnitt der Route 66 führt durch die US-Staaten New Mexico, Arizona und Kalifornien. Er durchzieht karge Landschaften, Wüsten und Indianer-Reservate. Und erst am Ende von Amerikas "Mother Road" lockt der Sonnenstaat Kalifornien mit den Versprechungen des American Dreams. Viele der Naturwunder am Rande der Route 66 liegen in Indianer-Reservaten. Dem Stamm der Laguna gehört aber auch das Route-66-Spielkasino. Ein Gesetzesprivileg, das Amerikas Ureinwohnern erlaubt, Kasinos zu betreiben, verschafft ihnen zum ersten Mal eine Art Wohlstand. So lässt das Geld der Zocker Arbeitsplätze, Schulen und Krankenhäuser entstehen. Auch die Hualapai-Indianer profitieren von der Wiederentdeckung der Route 66. Denn sie streift den faszinierenden Grand Canyon. Jetzt bieten indianische Führer Rafting-Touren auf dem Wildwasser des Colorado-Flusses an, der sich in über 1.000 Meter tiefen Schluchten durch die Felswände zwängt. Vor mehr als 9.000 Jahren hinterließen die Vorfahren dieser Stämme ihre Spuren in Hunderten von Felszeichnungen. Die Szenen aus dem Leben längst verschwundener Völker sind so gut erhalten, als wären sie eben erst entstanden. Mit Einbruch der Dunkelheit scheinen die tagsüber trostlosen Ortschaften an der "66" zu erwachen. Bunte Neonlichter werben wie Filmkulissen für die erhalten gebliebenen Motels und Diner-Restaurants. Die Kleinstadt Seligman in Arizona ist stolz darauf, dass dank ihrer Initiative die Reste der Route 66 zum nationalen Kulturdenkmal der USA, zum "Historic Highway" erklärt wurden. In der unwirtlichen Mojave-Wüste stehen zwischen Kakteen die Zelte der Goldgräber, die der Anstieg des Goldpreises in die Einöde gelockt hat. Nebenan bereiten sich Marine-Infanteristen auf den Einsatz im Wüstenkrieg vor. Nach Kalifornien zog es bereits in den 30er Jahren die Karawane des Elends, der John Steinbeck in seinem Roman "Früchte des Zorns" ein Denkmal setzte. Zahllose Farmer, die in den Staubstürmen Oklahomas alles verloren h